Auf dem Weg ins papierlose Büro – Fragen an einen Notariats-Softwarehersteller
Das Notariat auf dem Weg ins papierlose Büro – Fragen an einen Notariatssoftwarehersteller
Wie jede andere Standard-Software auch, sollte Notariatssoftware von sich aus etwas Lebendiges sein: keine tote Sprache wie Latein, ausgereift zwar, aber ohne Weiterentwicklung und nur noch wenig praxisrelevant, sondern ganz im Gegenteil: praxiserprobt und state of the art oder sogar schon ein bisschen weiter – technisch ebenso wie funktional. Inwieweit dies bei den am Markt verfügbaren Produkten der Fall ist, mag der Anwender beurteilen.
Aktuell wird das Lebendigsein aus sich selbst heraus durch eine Vielzahl von externen Vorgaben überlagert, die in der Branche der Notariatssoftwarehersteller für Wirbel sorgen. Die drei prominentesten Beispiele: das elektronische Urkundenarchiv, die elektronische Nebenakte und das in gemeinsamer Initiative der beiden Ländernotarkassen neu konzipierte elektronische Kostenregister. Das elektronische Urkundenarchiv und das elektronische Kostenregister haben ein durch seine Gleichzeitigkeit umso ambitionierteres Startdatum: den 1. Januar 2022 (dass die Nebenakte elektronisch geführt werden kann, ist ja bereits seit Inkrafttreten der NotAktVV am 29. Oktober 2020 geregelt).
Als Notarsoftwarehersteller sind wir im täglichen Kontakt mit unseren Kunden. Dabei werden uns immer wieder Fragen zu diesen Entwicklungsaufgaben gestellt, besonders häufig interessanter Weise zum Thema eAkte; vielleicht, weil man sich hier am ehestens Effektivitätszuwächse verspricht. Wir haben die häufigsten dazu an uns herangetragen Fragen hier zusammengestellt und beantwortet.
Ist eine schnelle Realisierung der elektronischen Nebenakte in Notariatssoftware denkbar? Ist das von den BNotK beschriebene Exportformat dabei eine besondere Hürde?
Die technischen Voraussetzungen für eine ersetzende elektronische Nebenaktenführung nach NotAktVV sind nicht so hoch, dass eine Umsetzung innerhalb von 2021 nicht möglich wäre. Das von der BNotK beschriebene XML-Exportformat ist dabei nicht die entscheidende Herausforderung, weil die Informationen für die Metadaten in diesem XML in einer Notariatssoftware ohnehin schon strukturiert vorliegen und nur exportiert werden müssen. Hierzu gehört auch die Überführung der Dokumente ins PDF/A 1b Format, das für die Übergabe mit dem XML-Strukturdatensatz vorgesehen ist.
Die NotAktVV und die Vorgaben der BNotK lassen eine späte Übertragung aus den Quellformaten (z.B. Word, Excel, Bilddateien) in ein Archivformat zu – wobei spät in Relation zum Zeitpunkt der Ablage eines Dokuments in der eAkte zu verstehen ist und z.B. im Sinne von kurz vor seiner nächsten Verwendung im elektronischen Rechtsverkehr bedeuten kann. Unsere Analysen haben aber ergeben, dass eine späte Übertragung nicht empfehlenswert ist, da für die Quellformate die Lesbarkeit nicht über einen längeren Zeitraum gewährleistet ist. Was passiert denn, wenn man ein zur Beurkundung eines Erbvertrages gehörendes Dokument aus einer elektronischen Nebenakte nach 30 Jahren – oder im Falle eines Rechtsstreits vielleicht schon ein paar Jahre früher – nicht mehr lesen kann, weil man sie nicht sofort in ein Archivformat überführt hat? Diese Frage möchten wir unseren Kunden ersparen. Wir werden daher den Ansatz verfolgen, Dokumente möglichst früh in das Archivformat PDF/A 1b zu überführen.
Muss die elektronische Nebenakte von Anfang an papierersetzend sein?
Die Abstimmungen mit unseren Kunden haben ergeben, dass die technische Realisierung der an eine papier-ersetzende elektronische Nebenakte gestellten Anforderungen (ersetzendes Scannen und – im Ermessen des Notars – beweiswerterhaltende Archivierung) nicht als die vordringlichen Aufgaben bei der Digitalisierung der Nebenakte gesehen werden. Damit die (technischen) Möglichkeiten einer Lösung für die ersetzende elektronische Nebenakte überhaupt genutzt werden können, ist es vielmehr zunächst notwendig, die Arbeitsabläufe im Notariat auf eine rein elektronische Aktenführung umzustellen. Gerade hier ist auch die Notariatssoftware gefordert. Die in den Notariaten über viele Jahre hinweg optimierten papier-gebundenen Abläufe müssen zunächst in adäquate digitale Äquivalente mit Unterstützung der Software überführt werden. Andernfalls würde die Digitalisierung ausgerechnet in ihrer Einführungsphase zu erheblichen Effizienzverlust führen und von Anfang an mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen haben. Hierbei sehen wir vor allem die Prüftätigkeit des Notars im Fokus, die sich bei elektronischer Nebenaktenführung ohne Workflow-Unterstützung durch die Software deutlich verlangsamen würde.
In welchen Schritten kann die elektronische Nebenakte sinnvoll in Notariatssoftware und damit in den Arbeitsalltag der Notariate eingeführt werden?
Wir empfehlen für die zur Einführung einer papierersetzende Nebenaktenführung erforderlichen Schritte folgende Priorisierung:
- Sicherung der Dokumente in PDF/A 1b in einem angebundenen Dokumentenmanagementsystem, so dass zunächst eine ergänzende digitale Nebenakte aufgebaut wird.
- Aufbau von Komponenten, die das effiziente Arbeiten mit rein digitalen Nebenakten ermöglichen. Hier sind vor allem die Verfügbarkeit der Akteninhalte, die Navigation darin sowie ein effizienter Posteingang für die gescannten und bereits digitalisierten Dokumente notwendig.
- Wenn das effiziente Arbeiten mit rein digitalen Akten gegeben ist, wird der XML-Metadatensatz für die Amtsübergabe ergänzt und damit die ersetzende Nebenaktenführung möglich.
Für jene, die den Beweiswert digitaler Dokumente auf einem vergleichbaren Niveau wie in der Papierakte halten wollen, sollten letztlich Funktionen zum digitalen Beweiswerterhalt ergänzt werden. Bzgl. des Beweiswerterhalts bei Amtsübergabe sehen wir allerdings noch Konzeptionslücken, die durch die Gesetzgebung und geeignete Standards zu schließen sind.
Welche Konzeptionslücken sind das, und wie wichtig ist der Beweiswerterhalt im Zusammenhang mit dem Führen einer elektronischen Nebenakte überhaupt?
Auf Anfrage der Notarsoftwarehersteller teilte die Bundesnotarkammer mit, dass es zum Beweiswerterhalt derzeit keine rechtlich verbindlichen Regelungen gebe.
In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, sich zu verdeutlichen, was „Beweiswerterhalt“ überhaupt bedeutet. Denn Beweiswerterhalt bedeutet nicht, dass ein Dokument damit unveränderlich wäre. Vielmehr kann ein Dokument auch dann noch verändert werden, wenn es in das Archivformat PDF/A 1b überführt worden ist. Darüber hinaus kann es auch dann noch verändert werden, wenn der Beweiswerterhalt mit einem geeigneten Verfahren bereits angebracht wurde. Entscheidend ist vielmehr, dass bei angebrachtem Beweiswerterhalt sichtbar ist, wenn das Dokument nachträglich verändert wurde. Damit ist der Beweiswerterhalt im Grunde ein elektronisches Siegel: man kann nicht verhindern, dass es aufgebrochen wird, aber man sieht es, wenn dies geschehen ist.
Offen ist aus unserer Sicht derzeit vor allem noch die Frage der Übergabe der elektronischen Nebenakte an einen Amtsnachfolger bzw. in eine andere Notariatssoftware. Aktuell gibt es weder ein festgelegtes technisches Verfahren noch eine organisatorische Lösung, wie der Beweiswert bei Übergaben erhalten werden kann. Technisch sind zwar alle Notariatssoftwarehersteller in der Lage, ein Verfahren für den Beweiswerterhalt für elektronische Nebenakten umzusetzen. Aber kompatibel sind die Verfahren damit noch nicht. Alle Softwarehersteller müssten sich also auf ein einheitliches Siegelverfahren einigen und lernen, gebrochene Siegel von intakten zu unterscheiden. Alternativ könnte eine vertrauenswürdige Instanz das Siegel der einen Software prüfen, um dann mit einem Siegel der neuen Software die Unversehrtheit von Dokument und altem Siegel zu bestätigen. Hierzu gibt es aktuell keine Lösung.
Dokumente können in der elektronischen Nebenakte also zunächst einmal in „allgemein gebräuchlichen Formaten“ abgelegt werden. Was sind allgemein gebräuchliche Formate?
Die Bundesnotarkammer hat die Bezeichnung „allgemein gebräuchliche Formate“ in ihrem Rundschreiben 08/2020 näher konkretisiert. Demnach ist der „Maßstab für die allgemeine Gebräuchlichkeit insbesondere die Verbreitung und die Marktüblichkeit des Dateiformats sowie die Kompatibilität mit gängigen informationstechnischen Systemen“. Demgegenüber sind „insbesondere Dateiformate, die nur mit teurer Spezialsoftware bearbeitet werden können, nicht allgemein gebräuchlich“. Dem Rundschreiben ist als Anhang eine Liste mit Formaten beigefügt, die von der Bundesnotarkammer als allgemeingebräuchlich in diesem Sinne empfohlen werden. Darunter sind Formate der MS-Office- und der LibreOffice/OpenOffice-Produktfamilien wie docx, xlsx und pptx bzw. odt, ods und odp, generische Beschreibungssprachen wie xml, json und jaml sowie sonstige Formate wie z.B. csv, pdf, txt und rtf. Wir empfehlen, im Zweifel die Liste zu Rate zu ziehen.
Was bedeutet es im konkret, papierlos zu arbeiten? Was sind die Voraussetzungen und ist das jetzt schon möglich?
Jetzt schon papierlos zu arbeiten ist eine sehr theoretische Möglichkeit. Aus unserer Sicht ist es zu früh dazu, denn es fehlt an vielen Stellen an technischen Lösungen. Lassen Sie uns das einmal durchspielen:
Es ist natürlich denkbar, schon jetzt den kompletten Dokumentenbestand eines Notariats zu scannen und in das Format PDF/A 1b umzuwandeln. Man kann die gescannten Dokumente in einer Dateiablage mit Konventionen für die Ordnerstrukturen und die Dateinamen ablegen. Durch intensive Qualitätssicherung müsste dabei sichergestellt werden, dass sich alle Mitarbeiter an die akribischen Vorgaben halten, die das elektronische Nebenaktensystem ordnen. Zur Suche – z.B. um die relevanten Dokumente für die Prüfung einer Fälligkeitsmitteilung aufzufinden – müsste man sich mühsam durch die einheitliche, aber eindimensionale Navigationsstruktur klicken. Und schließlich würde das XML für die Beschreibung der elektronischen Nebenakte erstellt – aber wie? Das XML manuell zu schreiben wäre keine ernstzunehmende Alternative.
Hier wird sehr schnell deutlich: Auch wenn die notwendigen Vorgaben für eine elektronische Nebenakte theoretisch erfüllt werden könnten, würden die Effizienz und in Teilen auch die Effektivität der Arbeit extrem leiden. Das papierlose Arbeiten, oder anders gesagt, die Digitalisierung eines Notariats, werden erst effizient umsetzbar, wenn die erforderlichen Abläufe softwaretechnisch unterstützt werden, um möglichst viele Abläufe zu automatisieren. Dabei sind auch Aspekte der Arbeitsweise und der Haptik der bisher analogen notariellen Arbeitswelt zu beachten. Erst dann hat die Digitalisierung das Potential, Effizienzsteigerungen zu realisieren. Um es an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen: die oben bereits erwähnte Prüfung einer Fälligkeitsmitteilung wird im Zusammenwirken mit der eAkte dann interessant und effizient, wenn das System die erforderlichen Dokumente nicht nur findet, sondern darüber hinaus die Prüfungs- und Freigabeabläufe z.B. durch paralleles Öffnen des zu prüfenden und der dazu heranzuziehenden Dokumente, durch Notizfunktionen und effiziente Freigabeprozesse aktiv unterstützt.
Wir möchten an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass es natürlich für einige Dokumente weiterhin erforderlich ist, sie auch in Papier aufzubewahren. Aber auch für diese Dokumente braucht es in Kombination mit einer ansonsten elektronische Nebenakte Lösungen, so dass auch dieser weiterhin papiergebundene Zweig Teil einer Gesamtlösung wird.
Welche Anforderungen hält das papierlose Notariat für Hardware (Server), Betrieb und Backup bereit?
Man stelle sich vor, das Nebenaktenarchiv eines Notariats wäre abgebrannt. Ein Schreckensbild. In einem papierlosen Notariat wäre dies gleichbedeutend mit einem Ausfall des Daten- und Dokumentspeichers. Wenn externe Backups vorhanden sind, aber das letzte Backup fünf Wochen zurück liegt, sind nur die Dokumente der letzten fünf Wochen verloren. Aber das sind die wichtigsten Dokumente: die der aktiven Vorgänge.
Die wichtigste Anforderung an ein papierloses Büro ist daher die Ausfallsicherheit der Hard- und Softwaresysteme. Auch ohne elektronische Akte ist ein Softwareausfall in einem Notariat schwerwiegend, obwohl aktuell überwiegend die papiergebundenen Prozesse mit Software unterstützt werden. Das papierlose Notariat jedoch steht still, wenn es keinen Zugriff auf die elektronische Akte hat. Um dieses Risiko zu minimieren, ist eine qualifizierte Beratung bei der Auswahl der richtigen Hardware und der richtigen Betriebsprozesse unerlässlich. So ist z.B. zu klären, wo Backups geschützt vor Umwelteinflüssen und Katastrophen gelagert werden können. In der Regel sind diese Fragen nur mit Unterstützung durch einen qualifizierten IT-Dienstleister zu beantworten.
Und was würde bei papiergebundener Arbeit im Falle eines Feuers im Notariat passieren? Wäre da nicht ebenfalls – oder vielleicht erst recht – alles verloren? Diese Frage liegt auf der Hand, und man wird sie mit „Ja“ beantworten müssen. Das relativiert aber nicht die für die Absicherung der elektronischen Nebenakte erforderlichen Anstrengungen, sondern zeigt viel mehr einen weiteren, im Alltagsgeschäft kaum sichtbaren Vorteil der eAkte: Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten, Risiken zu minimieren, die mit einem Papierarchiv niemals abgesichert werden könnten.
Lassen Sie uns den Blick aber nicht ausschließlich auf die Aspekte Ausfallsicherheit und Backups richten, denn darüber hinaus sind weitere Themen für den Betrieb des papierlosen Notariats relevant:
- Um eine gute Performance (schnelles Antwortverhalten) zu erreichen, ist auf eine ausreichende Dimensionierung der IT-Infrastruktur (Server, Datenbanken, Netzwerkanbindung) zu achten, basierend auf dem jeweiligen Mengengerüst (initial und Zuwachs-bezogen) sowie dem Nutzungsverhalten der Anwender.
- Es sind die geltenden Aufbewahrungsfristen von Daten- und Dokumenten zu berücksichtigen. Das verbindliche, zyklische Löschen von Daten und Dokumenten muss frühzeitig in eine Hardware- und Softwarelösung integriert werden. Das wird leider allzu oft vernachlässigt.
- Die Produkt- und Updatestrategie des gewählten Softwareherstellers und/oder Betreibers ist zu prüfen und zu bewerten (Funktionserweiterungen, Anpassung an geltende Standards, Sicherheitsupdates). Hier sollte sich der Auftraggeber anstelle einer reagierenden unbedingt in eine präventive Position begeben.
Alle diese Punkte sollten mittels konsequent ausgearbeiteter Konzepte (Betriebsführungskonzept, Sicherheitskonzept, Datensicherungskonzept) in der Frühphase der Einführung des papierlosen Notariats geplant und umgesetzt werden.
Ist der elektronische Notaraktenspeicher gemäß § 78k BNotO eine Alternative zur eigenen elektronischen Nebenakte?
Der elektronische Notaraktenspeicher wird den Notarinnen und Notaren zur Verfügung gestellt um „den Notaren die elektronische Führung ihrer nicht im Elektronischen Urkundenarchiv zu führenden Akten und Verzeichnisse sowie die Speicherung sonstiger Daten“ zu ermöglichen (siehe § 78k Abs. 1 BNotO). Insofern wird der elektronische Notaraktenspeicher sicherlich eine Alternative zur eigenen (lokalen) eAkte sein. Bisher sind uns der vorgesehene Funktionsumfang und der Zeitpunkt der Einführung jedoch nicht bekannt.